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Rundbrief 7 | Sterbehilfe

by admin on March 28th, 2010

Zur Umfrage: Soll der Arzt die Todespille reichen?

Wenn ich in meiner über 3o-jährigen ärztlichen Tätigkeit von todkranken Patienten die Frage zu hören bekam: „Nicht wahr, Frau Doktor, wenn es so weit ist, dann geben Sie mir doch die Spritze/die Pille…“, habe ich diese Frage nie direkt, schon gar nicht mit ja oder nein beantwortet. Ich meinte verstanden zu haben, dass ich mich ab jetzt auf eine andere Art ärztlicher Präsenz einzustellen habe: Nicht mehr behandeln, entscheiden, handeln, sondern begleiten, einfühlen, Angstkrisen und Trauerprozesse wahrnehmen und „halten“ wird nötig sein. Das war es, was die Patienten mir mitteilen wollten und aus Unsicherheit nur in diese tastende Frage kleiden konnten.

Die Frage wurde nie ein zweites Mal gestellt, sie hatte sich erübrigt, denn die Botschaft war offenbar bei der Ärztin angekommen.

Unglaublich, wie erfüllt und lebendig die Zeitspanne bis zum Ende werden kann, wenn unter dem – vom Patienten erbetenen – ärztlichen Schutz lastende Erinnerungen oder Familiengeheimnisse („ich weiß nicht, wer mein Vater ist, meine Mutter hat es mir nie gesagt“) ausgesprochen werden. Einem lange verdrängten „Erzähltrieb“ wird plötzlich nachgegeben, von sparsamen, den Mitteilungsfluss stärkenden Worten der Ärztin ermuntert. Es wird viel geweint, aber auch befreiend gelächelt und gelacht in dieser Phase.

Der Wunsch nach der Todespille, gerade bei Karzinomkranken im Endstadium, kommt fast immer aus Angst vor Abhängigkeit und der damit verbundenen Last für andere, vor allem aus Angst vor unerträglichen Schmerzen. Im Zuge der intensivierten, um nicht zu sagen innigen Arzt-Patient-Beziehung und nach den erlösenden biographischen Mitteilungen – auch die Beziehung zu den Angehörigen wird dabei meist offener und inniger – gehen überraschenderweise nicht selten stärkste, opiatresistente Schmerzen spürbar zurück.

Selbst sog. Alzheimer-Kranke können – vorübergehend oder sogar anhaltend – sprech- und kommunikationsfähiger werden, wenn ihnen das Erinnern und Erzählen erlaubt wird, wenn die Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Logopäden, KrankengymnastInnen, auch die Angehörigen, sich auf Zuhören einstellen.

Wäre es nicht traurig und fatal, wenn Ärzte – aus falsch verstandenem Wunsch, ihnen „unnötiges Leiden“ zu ersparen – ihren Patienten solche bewegenden (und schmerzlindernden!) Erfahrungen durch Gabe der Todespille vorenthalten, abschneiden würden?