Rundbrief 2 | Psychogener Schwellfuss
Wir sehen auf der psychosomatischen Station immer wieder phasenweise, vor allem bei Schmerzpatienten, fluktuierende, meist einseitige Schwellungen an Händen, Füssen, Unterschenkeln, die medizinisch keine Erklärung finden. Die Patienten klagen zeitgleich über vermehrte, anfallsartig exazerbierende Schmerzen in der selben Extremität, einen unerträglichen Druck von innen, „zum Platzen“. –
Psychodynamisch ist in diesen Behandlungsphasen die Arbeit der Patienten an schmerzhaften Erinnerungen und die innere Auseinandersetzung mit traumatischen Elternfiguren (oder Ersatzpersonen) in Gang gekommen, wobei widerstreitende Gefühle (Enttäuschungswut, Liebessehnsucht, Trauer, Angst – „soll ich mich weiter öffnen oder wieder ‘zumachen’?“) einen enormen affektiven Druck erzeugen, der atmosphärisch spürbar ist, verbal aber (noch) kaum geäussert und noch weniger emotional differenziert werden kann. Es hat den Anschein, als würde statt dessen der Körper – Hände und Füße – vorübergehend den Druck, die innere Spannung übernehmen und „mitteilen“. Wie bei König Oedipus, der, als Kleinkind ausgesetzt und mit den Fersen am Baum aufgehängt, nach Heilung der körperlichen Verletzung einen geschwollenen Fuß zurückbehielt (Oedipous, griech. = Schwellfuss), als Mahnmal, als somatoforme Erinnerungsspur.
Sollte auch bei anderen unklaren Schwellungen, die uns in der Klinik häufig begegnen, die Frage nach seelischem Überdruck erlaubt und ergiebig sein? Selbst bei Morbus Sudeck – der als überschiessende Entzündung verstanden wird und mit der rätselhaften Mischung aus sympathischen und parasympathischen Reizphänomenen einhergeht, der zuweilen sogar ohne äussere Verletzung auftritt – kann schon nach einem Gespräch, in dem schmerzhafte Affekte frei werden, die schmerzhafte Schwellung deutlich abnehmen.